Otto Borst “Alltagsleben im Mittelalter"
Insel | 1983 | ISBN: 3458322132 | 659 pages | PDF | 7,84 MB
Insel | 1983 | ISBN: 3458322132 | 659 pages | PDF | 7,84 MB
Rezension
Daß die Inselbändchen keine großformatig und farbenprächtig illustrierten Prachtbände sind, die eher zum Betrachten als zum Lesen einladen, sondern kleine, aber gehaltvolle Bücher, sollte sich in Leserkreisen herumgesprochen haben. Borsts „Alltagsleben im Mittelalter" macht da keine Ausnahme. Freilich finden sich etwas mehr Illustrationen als bei Büchern dieses Verlages üblich; sorgfältig ausgewählte zeitgenössische Bilder: Wiedergaben von Holzschnitten, Buchmalereien, Federzeichnungen. Diese bedürfen meist einiger erklärender Worte, damit die bildliche Sprache entschlüsselt wird - so erfährt man beispielsweise, daß ein Rabe auf dem Kopfe eines Schülers diesen zum schwarzen Schaf oder eben zum Raben unter den Tauben erklärt.
Der Schwerpunkt des Buches liegt aber im ungemein informativen Text. Borst fördert dabei eine Menge interessanter Details des mittelalterlichen Lebens zutage und beleuchtet unterschiedliche Facetten des damaligen Alltags, wobei er jede Schwarzweißmalerei vermeidet. So relativiert er das Problem des öffentlichen Unflats, das unser Negativbild von der mittelalterlichen Stadt prägt; der damaligen organischen Abfälle nahmen sich Viehzeug und Mikroben recht schnell an - auf der anderen Seite gab es weniger Straßenpflaster, als mancher heutige Marktplatz glauben machen will: unser romantisches Bild einer Ludwig-Richter-Idylle entspricht halt auch nicht der Wahrheit . Im Vergleich zur Stadt des ausgehenden 19.Jahrhunderts mit ihren katastrophalen sanitären Verhältnissen in Mietskasernen sei ihr Vorläufer aber kaum im Nachteil, so Borst, der sich immer ein Auge für die Verhältnismäßigkeit von Damals, Später und Heute bewahrt.
Im Kapitel über das Leben im Kloster lesen wir, was alles auf dem Speisezettel der Mönche stund, in dem über Haus und Wohnung, wie ein gotisches Bürgerhaus gestaltet war, einschließlich des „heimlichen Gemachs".
Über allen Einzelheiten vergißt der Autor nicht, die grundlegenden Züge der mittelalterlichen Gesellschaft und ihres Lebensgefühls zu erwähnen. Sie war ständisch organisiert, was die Ungleichheit zwischen den hoch und niedrig Gestellten zementierte, aber andererseits jedem seinen festen und sozial sicheren Platz zuwies - man lebte noch mit- und nicht nebeneinander, dafür wiederum war die uns heute selbstverständliche behagliche Privatsphäre damals nahezu unbekannt. . .
Es ist dem Autor eine teils unverständliche Sprache vorgeworfen worden, sie sei zu langatmig und diffus. Sicherlich fallen manche Sätze etwas lang aus, Thomas Mann hat hierfür allerdings meist bessere Kritiken eingeheimst! Langatmig ist der Diktus aber nicht, eher häufen sich zu viele Fakten auf kleinem Raum - der Vorschlag, den Text auf ein Drittel zu kürzen, ist daher absurd. Zeit zum Lesen sollte man sich schon nehmen.
Und die eingestreuten mittelhochdeutschen Zitate ? Es sind ihrer nicht soviel, daß der Lesefluß darunter leiden würde, lediglich etwas besser vom Text abgesetzt könnten manche stehen. Darüber hinaus ist eine Übertragung in modernes Deutsch fast immer angefügt. Letztlich sollte auch jeder, der sich für die Epoche interessiert, etwas vom kraftvollen Originalton nicht scheuen (fast bedauert man, daß das Nachtgeschirr aus der Mode gekommen ist, da uns damit auch Worte wie „Seychscherb" und „Bruntzkachel" fehlen. . .).
Kurzum: ein Buch von hohem Informationswert - für jene, die das Lesen nicht scheuen.
–- Want to thank - download from my links –-
–- No mirrors, please –-