Das Buch der Bücher: Seine Wirkungsgeschichte in der Literatur

Posted By: tot167

Tom Kleffmann, "Das Buch der Bücher: Seine Wirkungsgeschichte in der Literatur"
Universitätsverlag Göttingen | 2004 | ISBN: 3930457598 | 176 pages | PDF | 1,5 MB

Vorwort
Gott ein Schriftsteller! – Die Eingebung dieses Buchs ist eine ebenso große
Erniedrigung und Herunterlassung Gottes als die Schöpfung des Vaters
und die Menschwerdung des Sohnes (Johann Georg Hamann).
Für das christliche Selbstverständnis ist die Bibel als Menschenwort
zugleich Wort Gottes. Das heißt, es gilt als mögliche Erfahrung, daß Gott
selbst sich in der menschlichen Sprache der Bibel äußert – nicht nur hier,
aber doch hier in besonderer, ursprünglicher Weise. Diese Offenbarung
gilt dabei nicht als supranaturale Information, nicht als starre autori-
tative Norm. Vielmehr ist sie neutestamentlich im Christusgeschehen
begründet – in der völligen Herunterlassung Gottes zum Menschen, als
zu seinem Wesen gehörig. Diesem Gedanken der Kondeszendenz Gottes
zum Menschen entspricht dann, daß die Bibel als Wort Gottes zugleich
ganz menschlich ist. Deshalb ist sie, anders als der Koran im islamischen
Selbstverständnis, auch in jede Sprache zu übersetzen. Ihr Sinn erfüllt
sich im lebendigen Gespräch.
Im Gedanken der Kondeszendenz Gottes zum Menschen verstanden
ist die Bibel heilige Schrift – und als heilige Schrift Buch der Bücher:
universaler Schlüssel des Verstehens, Schlüssel der Wahrheit des Buchs
der Natur, des Buchs der Geschichte, aber auch aller anderen Bücher vom
Leben – Schlüssel des Verstehens, aber auch selbst Urform menschlicher
Rede von Leben und Tod, Wahrheit und Lüge, Glück und Leid.
Aber inwiefern ist die Bibel auch faktisch das Buch der Bücher? Das
läßt sich nur im philologischen Blick auf die Bücher selbst feststellen.
Die faktische Wirkung der Bibel auf die Sprache und die Bücher ist ja
nicht im Glauben normiert, sondern Ausdruck einer prinzipiell offen
scheinenden Geistesgeschichte. Wie steht es mit der Wirkungsgeschich-
te der Bibel im säkularen Raum? Gibt es hier wesentliche Unterschiede
in den europäischen Kulturen (einschließlich der europäisch geprägten
Kultur Nordamerikas)? Wirkt sie über ihre Motive und Formen, über ihre
Sprache, über ihre Perspektiven? Wo wirkt sie unterschwellig, wo in der
Abgrenzung von ihr, wo ausdrücklich und offensichtlich?
Um zur Klärung solcher Fragen beizutragen, um Schlaglichter zu wer-
fen, Querschnitte zu ziehen, fand von September bis November 2003 eine
Vorlesungsreihe in der Göttinger St. Jacobi-Kirche statt. Namhafte Ver-
treter bester Göttinger Philologie fanden hier ihr Publikum – interessiert,
oft gelehrt, aber in seinem Interesse nicht auf eine fachwissenschaftliche
Binnendiskussion beschränkt. Die Atmosphäre war konzentriert, manch-
mal beinahe festlich. Der Herbst hatte die Kirche schon in ein farbiges
Halbdunkel getaucht. Dagegen war der Altarraum hell erleuchtet. Das
wirkte durchaus nicht unpassend – obwohl es doch nichts als Philologie
war, was dort geboten wurde.
Überhaupt kann es scheinen, daß St. Jacobi der ideale Raum für Vor-
haben wie dieses ist – Inbegriff einer seltenen Symbiose von Geist und
Kunst, von Gottesdienst und Freiheit, von Heiligkeit und Nüchternheit.
Das ist vor allem Dirk Tiedemann zu verdanken. Seit 16 Jahren ist er
Pastor dieser Gemeinde. Entwurf und Organisation dieser Vorlesungsreihe
sind sein Werk.
Wie der Leser schnell bemerken wird, wurde für den Druck die Vor-
tragsform und überhaupt der besondere Charakter einer Vorlesung im
Kirchenraum beibehalten; das schließt den Verzicht auf einen umständ-
lichen Anmerkungsapparat ein.
St. Jacobi in Göttingen, Sommer 2004
Tom Kleffmann

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